Ich muss auf ein Thema zu sprechen zu kommen, bei dem Deutsche große Schuld auf sich geladen haben. Wo in Familien oft ein Riss zwischen die Generationen hindurch geht, weil die nachfolgenden Generationen fragen, wie es dazu kommen konnte. Manchmal sitzen die Täter noch mitten unter uns, unerkannt. Sie haben ganz normale Jobs, ganz banale Hobbys, sie sind Freunde und Verwandte und Nachbarn - vor allem Nachbarn, denn Sie wissen alle längst, die Rede ist natürlich vom dunkelsten Kapitel der deutschen Zwischenmenschlichkeit:
Ich spreche vom deutschen Laubbläser!
Das Wort Laubbläser bezeichnet ja sowohl das Höllengerät als auch das bis ins Mark verkommene Subjekt, welches ihm untertan ist. Das Gerät hat seinen Besitzer versklavt und lässt sich von ihm durch die Gegend tragen und mit Treibstoff versorgen. Gemeinsam schreiten sie in einer heiligen Prozession die Ortschaft ab. Worum es bei diesem Ritual überhaupt geht, hat sich mir noch nicht ganz erschlossen. Um Laub jedenfalls, das kann ich mit Sicherheit sagen, geht es nicht.
Mann kann das schließlich auch mit Besen und Rechen machen. Aber das wär doch gelacht, wenn ich dieselbe Aufgabe nicht auch mit Verbrennermotor, Abgasen und Lärm erledigen kann! Das macht den Laubbläser zum E-Bike der Gartenarbeit. Mann kann ja auch einfach trampeln, aber das wäre doch gelacht, wenn ich beim Fahrradfahren nicht auch noch Strom verbrauchen könnte. Das ist nun leider ein anderes Thema, da rege ich mich woanders drüber auf.
Dem Subjekt Laubbläser schadet der Lärmpegel nicht, er trägt ja Schallschutz auf den Ohren, und zwar auf jenem Körperteil, den er nur hat, damit der Bügel vom Schallschutz irgendwo hängen bleibt. Sonst tut sich im Kopf nix. Und ich sage "er", weil ich noch keine Frau mit Laubbläser gesehen habe. Was ist da los, mit den deutschen Männern? Was kompensieren sie da mit diesem dicken Rohr, das sie durch die Nachbarschaft tragen? Was drücken sie damit aus, was man auch im Flüsterton einem Therapeuten hätte sagen können?
Das eigentliche Problem ist aber, dass der Laubbläser nur eines von vielen Geschützen ist, im Arsenal der deutschen Waffenkammer, mit der man Sonnentage bekämpft. Er ist Teil der sogenannten Deutschen Lautkultur, zu der auch die Kreischsäge und die Bohrmaschine gehören. Wenn eines davon läuft, sitze ich an meinem Schreitisch und raufe mir die Haare. Die Bohrmaschine heißt übrigens so, weil in der Nachbarwohnung immer einer sitzt und sagt:
"Bohr, ich halt' das nicht mehr aus!"
Worum es jedenfalls im Kern geht ist, wie ich schon andeutete, eine Abwehrhaltung gegen Sonnentage.
Stellen sie sich folgendes vor, beziehungsweise, wieso vorstellen, sagen wir lieber erinnern Sie sich! Es hat von September bis April geregnet. Nun ist der erste Sonnentag seit langer, langer Zeit. Gestern hat die Sonne zum ersten Mal so lange geschienen, dass sich der Rasen trocken anfühlt. Heute aber beginnt der Tag schon trocken! Was klingt wie der Facebook-Status eines Alkoholikers, ist in Deutschland der wahre Frühlingsbeginn. Deutschland ist das einzige Land, wo Picknickdecken halbseitig isoliert sind wie LKW-Planen, damit man vor lauter Bodenfeuchtigkeit nach dem Picknick nicht mit einem welligen Hintern aufstehen muss, als hätte man zwei Stunden in der Badewanne gesessen. Und jetzt kommt natürlich gleich der Satz, den kann ich auch schon nicht mehr hören.
Das ist jetzt eine Abschweifung, ich weiß, aber sie sitzen jetzt grad so untätig vorm Bildschirm, da kann ich das auch mal ganz grundsätzlich loswerden. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, es gibt ja so Sätze, die kann man einfach nicht mehr hören. Meine Top drei sind:
Das ganze gute ist in der Schale!
Ich kann da gar nicht drüber sprechen, so fertig macht mich das. Der nächste, der mir sagt, das ganze gute ist in der Schale, dem mach ich so einen Schweinetrog fertig, wie auf dem Musterbauernhof für Schulklassenbesuche. Da ist dann ein Riesenkübel mit Küchenabfällen und dann bon appetit, motherfucker!
Der nächste Satz ist:
Wo kommst du her?
Ich hab es oft mit „Dortmund“ versucht, aber das war nie gemeint, also jetzt ein für allemal! Meine Vorfahren kommen aus Ostafrika, wo der homo sapiens wahrscheinlich vor mehreren hunderttausend Jahren das erste Mal auftauchte und sich in einer jahrzehntausende langen Wanderschaft in Asien mit den Denisova-Menschen und Homo Erectus vermischte, ein paar Jahrtausende später am Aralsee in Gestalt der Oghusen siedelte, von denen sich vor rund tausend Jahren mehrere Stämme abspalteten, darunter auch der der Kayı, was auf alttürkisch „stabil“ oder „mächtig“ heißt, aber seitdem ich zugenommen habe, bevorzuge ich „mächtig“, dankeschön. Aus dem Stamm der Kayı gingen die Osmanen hervor, die 1683 bis Wien, und 1972 in Gestalt meines missratenen Vaters bis ins Ruhrgebiet kamen. Dort wurde ich geboren, aber ja, es stimmt, das ist natürlich zu kurz gedacht: Ursprünglich komme ich aus Ostafrika, wie wir alle!
Nun zum dritten Satz.
Kaum, dass man sich übers Regenwetter beschwert, sagt irgendjemand unweigerlich:
Der Bauer braucht den Regen!
Was so ein Bauer alles braucht: Regen, Subventionen für klimaschädlichen Dieseltreibstoff, sogar Frauen braucht er und sucht sie im Fernseh. Kann ja sein, dass der Bauer den Regen braucht. Das ist mir einerlei – ich brauche Sonne. Aber hört man vielleicht die Leute auf der Straße sagen „Der Türke braucht die Sonne“, wenn die Sonne scheint? Nein! Immer Bauer hier, Bauer da, aber das ist ein anderes Thema.
Also, es hat ein halbes Jahr geregnet, jetzt scheint die Sonne. Man kriecht aus seinem doppelverglasten Loch und blinzelt in den Tag, abgemagert und mürrisch, wie ein Bär, der aus dem Winterschlaf erwacht. Überall werden Gartenstühle aufgeklappt, der Körper produziert Vitamin D, Paare schauen einander verliebt an, weil das Blut wieder zirkuliert und Hormone ausgeschüttet werden. Die Tiere des Waldes hüpfen versonnen über die Wiese im Vorgarten. Die Fenster werden geöffnet und die Wohnhöhlen lassen den Mief eines ganzen Winters in die Atmosphäre entweichen. Millionen von Zugvögeln über Deutschland ändern schlagartig ihre Routen und weichen auf das europäische Ausland aus. Es riecht nach Blüten, nach Wachstum, nach Aufbruch.
Und dann kommt irgendeine Arschnase und schmeißt ein Gerät aus der Deutschen Lautkultur an. Das hat doch bloß den einen Zweck, allen im Ort den Sonnentag zu vermiesen! Ich komme ja aus dem Ruhrgebiet, das heißt, ich sitze in einem goldenen Dreieck, in dem sich das weiße Rauschen der A40, das sonore Dröhnen eines Düsenjets in zehn Kilometern Höhe und Fangesang aus dem nahen Stadion zu einer Art Dreiklang vermischen, man könnte sagen Brandungsrauschen für Arme. Mit anderen Worten, ich bin einiges gewöhnt. Ruhrgebiet. Muss man wollen.
Aber Laubbläser?
Jamais! Niemals! Yok!
Die könnten alle anders, wenn sie nur wollten. Manchmal träume ich davon, sie von hinten – und ich müsste mich noch nicht einmal anschleichen, die kriegen ja nix mit, die debilen Pusteblumen – sie also von hinten mit einem Rechen zu erschrecken, mit dem ich ihnen an den Hintern grabsche. Und wenn sie sich dann erstaunt umdrehen, haue ich ihnen damit den Schallschutz von der Birne. Sich mit einem Rechen zu rächen, das sind so meine Fantasien. Murat der Rechenkünstler.
Oder man assimiliert sich. Ein marokkanischer Bekannter von mir hat sich so ein Ding zugelegt. Man muss mit den Wölfen blasen. Seine Frau hat meiner Freundin zugeraunt: „Da hätte ich ja auch einen Deutschen heiraten können“.
Mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen, außer mit Loriot:
Es saugt und bläst der deutsche Mann...
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